Arendt
Hannah Arendt – ein Genie der Freundschaft
Bei Hannah Arendts Beerdigung im Dezember 1975 verabschiedete sich der Philosoph Hans Jonas mit diesen Worten in seiner Totenrede von der jüdischen Publizistin und Philosophin, mit der er über Jahrzehnte befreundet war.
Hannah Arendt: Ich will verstehen
Aus: "Zur Person" – Günter Gaus im Gespräch mit Hannah Arendt, ZDF 1964
Arendt führte über Kontinente hinweg und über unterschiedliche religiöse und politische Ansichten hinaus intensive Freundschaften, oft jahrzehntelang. Sie war eine der fleißigsten Briefeschreiberinnen des 20. Jahrhunderts.
Die Gleichschaltung 1933
Hannah Arendt über das Verhalten ihrer intellektuellen Freunde zu Beginn der NS-Herrschaft. Aus: "Zur Person" – Günter
Gaus im Gespräch mit Hannah Arendt, 1964
Martin Heidegger
Und das, obwohl Heidegger sich 1933 in seiner Antrittsrede als Rektor der Freiburger Universität zum Nationalsozialismus bekannte – während Hannah Arendt als Jüdin von der Gestapo 1933 kurzzeitig inhaftiert wurde, die Nationalsozialisten ihr 1938 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannten und sie schließlich 1941 in die USA emigrieren musste.
Hannah Arendt sagte 1964 rückblickend, dass ihr persönliches Problem 1933 nicht gewesen sei, was ihre Feinde taten - sondern was ihre intellektuellen Freunde taten.
"Lieber Martin, ich habe den Verlag angewiesen, Dir ein Buch von mir zu schicken. Dazu möchte ich Dir ein Wort sagen. Du wirst sehen, dass das Buch keine Widmung trägt. Wäre es zwischen uns je mit rechten Dingen zugegangen – ich meine zwischen, also weder Dich noch mich - , so hätte ich Dich gefragt, ob ich es Dir widmen darf: es ist unmittelbar aus den ersten Freiburger Tagen entstanden und schuldet Dir in jeder Hinsicht so ziemlich alles. So wie die Dinge liegen, schien mir dies unmöglich; aber auf irgendeine Weise wollte ich Dir doch wenigstens den nackten Tatbestand sagen. Alles Gute!"
Brief von Hannah Arendt an Martin Heidegger über "Vita activa", Oktober 1960
Karl und Gertrud Jaspers
Bei vielen Besuchen und durch ununterbrochenen Briefwechsel standen die Beiden in einem lebhaften Dialog. Jaspers wurde 1948 an die Universität Basel berufen, wo Arendt ihn und seine Frau Gertrud regelmäßig besuchte.
Hannah Arendt über Karl Jaspers
Aus dem Interview, das Günter Gaus 1964 mit Hannah Arendt im ZDF führte
Heinrich Blücher
Arendt erhielt 1951 die amerikanische Staatsbürgerschaft, Blücher im Jahr darauf. Er wurde 1952 als Autodidakt Professor für Philosophie am Bard College. Blücher veröffentlichte nicht, Impulse seines Denkens finden sich aber in Arendts Werken. In den 1960er Jahren besuchten sie gemeinsam Karl Jaspers und Martin Heidegger in Europa.
Rose Feitelson, Heinreich Blücher, Hannah Arendt (v.l.n.r)
Heinrich Blücher
Als Blücher 1970 in New York starb, schrieb Arendt an Heidegger: "Zwischen zwei Menschen entsteht manchmal, wie selten, eine Welt. Die ist dann die Heimat, jedenfalls war es die einzige Heimat, die wir anzuerkennen bereit waren."
Der Eichmann-Prozess
Arendt schrieb nach dem Prozess das Buch "Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen", das 1963 erschien und lange Kontroversen auslöste.
Gerade jüdische Freunde von Hannah Arendt reagierten empört. Sie sahen Arendts Beschreibung von Eichmann als einem mittelmäßigen Bürokraten ohne Moral als Verharmlosung eines Massenmörders an. Auch fehlte ihnen in Arendts Bericht Mitgefühl mit den Opfern. Und Arendts teilweise ironischer Ton kam nicht gut an. Arendt dagegen meinte, Eichmann sei ein "Hanswurst" gewesen.
Hannah Arendt über Eichmann
Aus: "Zur Person" – Günter Gaus im Gespräch mit Hannah Arendt, 1964
Arendt im Brief an Karl Jaspers, April 1961
Hans Jonas
Aber dann, eingedenk der über die Jahre zunehmend gemachten Erfahrung, dass Du Gründen nicht zugänglich bist, auf niemanden hören und immer nur Recht behalten willst, sagte ich mir: Es hat doch gar keinen Zweck. (…)
Was sich schließlich entschied, das Aussichtslose dennoch zu versuchen – und genau, da die Aussichtslosigkeit endgültig demonstriert wurde – war Dein veröffentlichter Briefwechsel mit Scholem. Als ich ihn – recht verspätet – las, erschrak ich im tiefsten Herzen und sagte mir: sie ist verloren."
Hans Jonas in einem Brief 1964 an Hannah Arendt
Hans Jonas
Arendt in einem Brief an Heinrich Blücher, April 1961
Eine der Freundschaften Arendts, die nach der Veröffentlichung ihres Eichmann-Buches zerbrachen, war die zu Gershom Scholem, Professor an der Hebräischen Universität Jerusalem. Scholem warf ihr vor, sie lasse keine "Liebe zu den Juden" erkennen. Darauf antwortete sie: "Ich liebe nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig."
Denken in der Öffentlichkeit erfordert Mut, das war Hannah Arendt bewusst. Jeder Mensch müsse aber dieses Risiko auf sich nehmen - und auch Vertrauen haben in das Menschliche aller Menschen.
Hannah Arendt: Das Wagnis der Öffentlichkeit
Aus: "Zur Person" – Günter Gaus im Gespräch mit Hannah Arendt, ZDF 1964
Hilde Fränkel
"Ich freue mich so auf Dich und auf den Augenblick, wo ich zu Dir ins Zimmer trete. Das Glück, Dich gefunden zu haben, wird dadurch, dass Du weggehst, noch intensiver, weil ja eben der Schmerz mit darin beschlossen ist. Dadurch wird es wie ein Symbol für menschliches Leben und für das, was wir halten können und eben doch nie haben können."
Brief Hannah Arendt an Hilde Fränkel, März 1950
Mary McCarthy
In ihren Briefen über mehr als zwanzig Jahre setzten sie sich über politische Themen sowie ihre Werke auseinander. Aber es ging auch oft um Privates: ihre Ehen, ihre Gesundheit, Todesfälle, gemeinsame Freunde.
Hannah Arendt, New York, an Mary McCarthy in Paris, Mai 1962
In ihren umfangreichen Korrespondenzen mit Freundinnen und Freunden führte sie philosophische und politische "Gespräche", besprach deren Werke, diskutierte etwa die Nachkriegs-Situation in Deutschland und schrieb auch Persönliches.
Hannah Arendt war der Ansicht, dass Jede und Jeder sich in gesellschaftlichen und politischen Fragen ein eigenes Urteil bilden kann und sollte. Ihr Werk - zu dem auch ihre zahlreichen Briefe an die Freundinnen und Freunde zählen müssen - ist ein Plädoyer für kritischen Zeitgeist.
"Sie hat nicht nach Originalität gesucht, sie war einfach original. Die Dinge sahen anders aus, sobald sie sie angeblickt hatte. Das Denken war ihre Leidenschaft, bei ihr war Denken eine moralische Tätigkeit."
Hans Jonas am 8. Dezember 1975 bei Hannah Arendts Beerdigung in New York