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Hannah Arendt – ein Genie der Freundschaft

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Arendt

"Ihr Fortgang ist ein erschütternder Schlag, und da sie ein Genie der Freundschaft war, wird es viele geben, die sich in ihrem persönlichen Leben jetzt unendlich viel ärmer fühlen".

Bei Hannah Arendts Beerdigung im Dezember 1975 verabschiedete sich der Philosoph Hans Jonas mit diesen Worten in seiner Totenrede von der jüdischen Publizistin und Philosophin, mit der er über Jahrzehnte befreundet war.

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Hannah Arendt: Ich will verstehen

Aus: "Zur Person" – Günter Gaus im Gespräch mit Hannah Arendt, ZDF 1964

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Für die 1906 in der Nähe von Hannover geborene Hannah Arendt war Freundschaft viel mehr als eine intime Angelegenheit, sie hatte eine politische Dimension. Unter Bezug auf Lessings Appell in "Nathan der Weise" schrieb sie: "Wir müssen, müssen Freunde sein!" Freundschaft sei ein Gespräch, das einer gemeinsamen Welt gelte. Das Verstehen gebe ihr ein "Heimatsgefühl".

Arendt führte über Kontinente hinweg und über unterschiedliche religiöse und politische Ansichten hinaus intensive Freundschaften, oft jahrzehntelang. Sie war eine der fleißigsten Briefeschreiberinnen des 20. Jahrhunderts.

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Die Gleichschaltung 1933

Hannah Arendt über das Verhalten ihrer intellektuellen Freunde zu Beginn der NS-Herrschaft. Aus: "Zur Person" – Günter Gaus im Gespräch mit Hannah Arendt, 1964

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Mit dem verheirateten Philosophie-Professor Martin Heidegger begann die damals 18-jährige Philosophie-Studentin eine Affäre, die nur kurze Zeit dauerte, aber als Freundschaft mit Brüchen ein ganzes Leben hielt.

Und das, obwohl Heidegger sich 1933 in seiner Antrittsrede als Rektor der Freiburger Universität zum Nationalsozialismus bekannte – während Hannah Arendt als Jüdin von der Gestapo 1933 kurzzeitig inhaftiert wurde, die Nationalsozialisten ihr 1938 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannten und sie schließlich 1941 in die USA emigrieren musste.

Hannah Arendt sagte 1964 rückblickend, dass ihr persönliches Problem 1933 nicht gewesen sei, was ihre Feinde taten - sondern was ihre intellektuellen Freunde taten.

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Es kam zwischen beiden zum Bruch. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges gab es ein Wiedersehen. Mit allen Aufs und Abs dauerte diese leidenschaftliche und philosophische Beziehung rund 50 Jahre. Arendt entwickelte ihre politische Theorie im Dialog und auch in Abgrenzung zu Heideggers Philosophie. Sie schrieb ihm im Oktober 1960:
"Lieber Martin, ich habe den Verlag angewiesen, Dir ein Buch von mir zu schicken. Dazu möchte ich Dir ein Wort sagen. Du wirst sehen, dass das Buch keine Widmung trägt. Wäre es zwischen uns je mit rechten Dingen zugegangen – ich meine zwischen, also weder Dich noch mich - , so hätte ich Dich gefragt, ob ich es Dir widmen darf: es ist unmittelbar aus den ersten Freiburger Tagen entstanden und schuldet Dir in jeder Hinsicht so ziemlich alles. So wie die Dinge liegen, schien mir dies unmöglich; aber auf irgendeine Weise wollte ich Dir doch wenigstens den nackten Tatbestand sagen. Alles Gute!"

Brief von Hannah Arendt an Martin Heidegger über "Vita activa", Oktober 1960
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Arendt studierte bei Heidegger, Karl Jaspers und Rudolf Bultmann Philosophie, Theologie und Klassische Philologie. 1928 bekam sie für ihre Arbeit "Der Liebesbegriff bei Augustin" den Doktortitel verliehen. Ihr Doktorvater war Jaspers, mit dem Arendt ein Leben lang befreundet war. Er habe sie "zur Vernunft gebracht", und der Austausch mit Jaspers sei ihr stärkstes Nachkriegserlebnis gewesen.

Bei vielen Besuchen und durch ununterbrochenen Briefwechsel standen die Beiden in einem lebhaften Dialog. Jaspers wurde 1948 an die Universität Basel berufen, wo Arendt ihn und seine Frau Gertrud regelmäßig besuchte.
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Hannah Arendt über Karl Jaspers

Aus dem Interview, das Günter Gaus 1964 mit Hannah Arendt im ZDF führte

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"Heimat" fand Hannah Arendt bei ihrem Mann Heinrich Blücher, wie sie einmal schrieb. Arendt und Blücher lernten sich im Pariser Exil kennen und heirateten 1940 in Frankreich. Sie flohen ein Jahr darauf nach New York.

Arendt erhielt 1951 die amerikanische Staatsbürgerschaft, Blücher im Jahr darauf. Er wurde 1952 als Autodidakt Professor für Philosophie am Bard College. Blücher veröffentlichte nicht, Impulse seines Denkens finden sich aber in Arendts Werken. In den 1960er Jahren besuchten sie gemeinsam Karl Jaspers und Martin Heidegger in Europa.

Rose Feitelson, Heinreich Blücher, Hannah Arendt (v.l.n.r)
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Beide korrespondierten häufig per Brief, wenn Arendt auf Reisen war. 1952 schrieb sie an ihren Mann: "Nietzsche hat gesagt – wie Jaspers gerade berichtete – Wahrheit gibt es nur zu zweien." Blücher war für Arendt Ehemann und bester Freund.  

Als Blücher 1970 in New York starb, schrieb Arendt an Heidegger: "Zwischen zwei Menschen entsteht manchmal, wie selten, eine Welt. Die ist dann die Heimat, jedenfalls war es die einzige Heimat, die wir anzuerkennen bereit waren."
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1961 begleitete Hannah Arendt für die Zeitschrift "New Yorker" den Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem. NSDAP-Mitglied Eichmann hatte die Deportation und Vernichtung von Juden im Reichssicherheitshauptamt maßgeblich mitgeplant und -organisiert. Er wurde zum Tod durch Strang verurteilt.  

Arendt schrieb nach dem Prozess das Buch "Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen", das 1963 erschien und lange Kontroversen auslöste. 

Gerade jüdische Freunde von Hannah Arendt reagierten empört. Sie sahen Arendts Beschreibung von Eichmann als einem mittelmäßigen Bürokraten ohne Moral als Verharmlosung eines Massenmörders an. Auch fehlte ihnen in Arendts Bericht Mitgefühl mit den Opfern. Und Arendts teilweise ironischer Ton kam nicht gut an. Arendt dagegen meinte, Eichmann sei ein "Hanswurst" gewesen. 
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Hannah Arendt über Eichmann

Aus: "Zur Person" – Günter Gaus im Gespräch mit Hannah Arendt, 1964

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"Eichmann kein Adler, eher ein Gespenst, das noch dazu Schnupfen hat und gleichsam von Minute zu Minute in seinem Glaskasten an Substantialität verliert." 

Arendt im Brief an Karl Jaspers, April 1961
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"Liebe Hannah, (…) Als ich damals, mit Entsetzen, den dritten Artikel von "Eichmann in Jerusalem" las, wollte ich dich telegrafisch beschwören, wenigstens die deutsche Ausgabe zu unterlassen. (…)

Aber dann, eingedenk der über die Jahre zunehmend gemachten Erfahrung, dass Du Gründen nicht zugänglich bist, auf niemanden hören und immer nur Recht behalten willst, sagte ich mir: Es hat doch gar keinen Zweck. (…)

Was sich schließlich entschied, das Aussichtslose dennoch zu versuchen – und genau, da die Aussichtslosigkeit endgültig demonstriert wurde – war Dein veröffentlichter Briefwechsel mit Scholem. Als ich ihn – recht verspätet – las, erschrak ich im tiefsten Herzen und sagte mir: sie ist verloren."  

Hans Jonas in einem Brief 1964 an Hannah Arendt
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Hannah Arendt und Hans Jonas lernten sich 1924 kennen, als beide bei Martin Heidegger in Marburg studierten. Jonas war – wie andere Freunde - enttäuscht über Arendts Artikel zum Eichmann-Prozess. Ihre Freundschaft überdauerte den Konflikt jedoch, sie blieben einander bis zu Hannah Arendts Tod 1975 verbunden.
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"Sehr interessant und zum Teil sogar komisch, aber im Ganzen doch grotesk grauslich die Eichmann-Verhöre in 6 Bänden, von denen wir noch nicht wissen, wie wir sie überhaupt transportieren sollen."
Arendt in einem Brief an Heinrich Blücher, April 1961   

Eine der Freundschaften Arendts, die nach der Veröffentlichung ihres Eichmann-Buches zerbrachen, war die zu Gershom Scholem, Professor an der Hebräischen Universität Jerusalem. Scholem warf ihr vor, sie lasse keine "Liebe zu den Juden" erkennen. Darauf antwortete sie: "Ich liebe nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig."

Denken in der Öffentlichkeit erfordert Mut, das war Hannah Arendt bewusst. Jeder Mensch müsse aber dieses Risiko auf sich nehmen - und auch Vertrauen haben in das Menschliche aller Menschen. 
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Hannah Arendt: Das Wagnis der Öffentlichkeit

Aus: "Zur Person" – Günter Gaus im Gespräch mit Hannah Arendt, ZDF 1964

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Mit verschiedenen Freundinnen stand Hannah Arendt über Jahre in regem Austausch, bei gegenseitigen Besuchen, aber häufig auch per Brief. Hilde Fränkel war eine davon. Arendt lernte sie in den 30er Jahren in Frankfurt kennen. Beide hatten eine innige Verbindung bis Hilde Fränkel, begleitet von Hannah Arendt, im Juni 1950 an Krebs starb.

"Ich freue mich so auf Dich und auf den Augenblick, wo ich zu Dir ins Zimmer trete. Das Glück, Dich gefunden zu haben, wird dadurch, dass Du weggehst, noch intensiver, weil ja eben der Schmerz mit darin beschlossen ist. Dadurch wird es wie ein Symbol für menschliches Leben und für das, was wir halten können und eben doch nie haben können."

Brief Hannah Arendt an Hilde Fränkel, März 1950
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Die Schriftstellerin Mary McCarthy war die prominenteste ihrer Freundinnen. Hannah Arendt und Mary McCarthy schlossen 1950 Freundschaft. Die beiden Frauen verband eine Leidenschaft für das politische Urteilen, und sie bezogen gerne und oft öffentlich Stellung. McCarthy verteidigte die Freundin während der Eichmann-Kontroverse. Arendt bestimmte sie als ihre Testamentsvollstreckerin und Nachlassverwalterin.

In ihren Briefen über mehr als zwanzig Jahre setzten sie sich über politische Themen sowie ihre Werke auseinander. Aber es ging auch oft um Privates: ihre Ehen, ihre Gesundheit, Todesfälle, gemeinsame Freunde.
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"Liebste Mary – Schön, von Dir zu hören; mir ist so bewusst, wie sehr Du mir hier fehlst. (…) Depression: Hast Du dort einen guten Arzt? Französische Ärzte sind entweder die allerbesten (selten) oder absolut schrecklich. Vor drei Jahren etwa hatte ich das gleiche, klar die Wechseljahre, und bin nicht zum Arzt gegangen, weil ich mir partout nicht eingestehen wollte, dass ich eine Depression hatte. Woraufhin ich sie loswurde – nach ungefähr sechs Monaten. Aber ich weiß, dass es Mittel gibt, die Du nehmen kannst. Und da Du nett und ehrlich bist und nicht so eine verlogene Person wie ich, könntest du überredet werden, es zu probieren."

Hannah Arendt, New York, an Mary McCarthy in Paris, Mai 1962
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Briefe und Freundschaften waren Hannah Arendts Antwort auf die "finsteren Zeiten", in denen Menschen zu Flüchtlingen und Staatenlosen wurden, wie sie selbst von 1938 – 1951.  

In ihren umfangreichen Korrespondenzen mit Freundinnen und Freunden führte sie philosophische und politische "Gespräche", besprach deren Werke, diskutierte etwa die Nachkriegs-Situation in Deutschland und schrieb auch Persönliches.  

Hannah Arendt war der Ansicht, dass Jede und Jeder sich in gesellschaftlichen und politischen Fragen ein eigenes Urteil bilden kann und sollte. Ihr Werk - zu dem auch ihre zahlreichen Briefe an die Freundinnen und Freunde zählen müssen - ist ein Plädoyer für kritischen Zeitgeist.
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"Sie hat nicht nach Originalität gesucht, sie war einfach original. Die Dinge sahen anders aus, sobald sie sie angeblickt hatte. Das Denken war ihre Leidenschaft, bei ihr war Denken eine moralische Tätigkeit."


Hans Jonas am 8. Dezember 1975 bei Hannah Arendts Beerdigung in New York
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Diese Webdoku ist in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Museum entstanden. Wir danken Dorlis Blume und Monika Boll für die freundliche Unterstützung.

"Zur Person" - Günter Gaus im Gespräch mit Hannah Arendt, ZDF-Sendung vom 28.10.1964

Hannah Arendt: Wahrheit gibt es nur zu Zweien, Briefe an die Freunde, Hrsg. Von Ingeborg Nordmann, Piper Verlag

Hannah Arendt: Wie ich einmal ohne Dich leben soll, mag ich mir nicht vorstellen, Briefwechsel mit den Freundinnen Charlotte Beradt, Rose Feitelson, Hilde Fränkel, Anne Weil und Helen Wolff, Hrsg. von Ingeborg Nordmann und Ursula Ludz, Piper Verlag  

Hannah Arendt, Mary McCarthy: Im Vertrauen, Briefwechsel 1949 – 1975, Hrsg. von Carol Brightman, Aus d. Amerikanischen von Ursula Ludz und Hans Moll, Piper Verlag

Webdoku © www.rbbkultur.de | Gudrun Reuschel, Gregor Baron

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